Benutzungsanordnung oder Zwangslizenz für Impfstoffpatente

   Erstellt von Dr. Annekathrin Seifert and Dr. Jens Wortmann |    |   Publikationen

- hohe Hürden, fragliche Wirkung -

Verfolgt man derzeit die Diskussion über die Versorgung der Bevölkerung mit Impfstoff gegen Covid-19, so wird von Personen des öffentlichen Lebens, Fernsehmoderatoren, Politikern und anderen, immer wieder die Auffassung vertreten, dass Patentrecht solle außer Kraft gesetzt werden, um somit weiteren Produzenten den freien Marktzugang zu ermöglichen und die derzeit herrschende Knappheit an Impfstoff zu beheben. Beim Adressaten dieser Aussagen kann der Eindruck entstehen, dass, wenn der politische Wille nur vorhanden wäre, die Exekutive mit einem Federstrich die Wirkung von Patenten außer Kraft setzen könnte. So ist doch  der Patentinhaber allein befugt, die patentierte Erfindung zu benutzen, die jedem Dritten ohne seine Zustimmung jedoch untersagt ist (§ 9, Satz 1 PatG Deutschland).

Es darf wohl unterstellt werden, dass die wenigstens, die jetzt medienwirksam eine Aufhebung des Patentschutzes verlangen, sich mit den Regelungen der §§ 13 und 24 des Deutschen Patentgesetzes bzw. den analogen Regelungen anderer Staaten beschäftigt haben.

Grundsätzlich ist das Patent ein verfassungsgemäß geschütztes Eigentumsrecht i.S.v. Art. 14 GG. Ein Patentrecht, beispielsweise an einem Impfstoff oder sonstigen Arzneimittel, verleiht dem Inhaber das alleinige Recht auf Herstellung und Vertrieb. Das aus der Patenterteilung resultierende Vermögensrecht des Erfinders oder seines Rechtsnachfolgers und die Freiheit, darüber in eigener Verantwortung zu verfügen, sind somit ein hohes Rechtsgut. Daher unterliegt die Befugnis der öffentlichen Hand zu einem Eingriff in das Recht des Patentinhabers hohen Hürden, selbst wenn sie öffentliche Interessen zum Wohle der Allgemeinheit verfolgt. Nichtsdestotrotz hat das Recht des Patentinhabers seine Grenzen und es ist im Sinne des öffentlichen Interesses möglich, patentgeschützte Gegenstände, wie Impfstoffe auch ohne seine Einwilligung von einem Dritten herstellen zu lassen. 

§ 13 PatG (Beschränkung der Wirkung des Patents für die öffentliche Wohlfahrt)

§ 13 ermöglicht es der Bundesregierung die Benutzung einer patentierten Erfindung gegen den Willen des Patentinhabers anzuordnen, wenn dies ein höherwertiges öffentliches Interesse gebietet. Voraussetzung einer solchen Anordnung ist, dass ein Zustand besteht, der die staatliche Fürsorge absolut notwendig macht, also ein Notfall, der sich ohne staatlichen Eingriff nicht beheben lässt.. Sieht es die Bundesregierung im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt, zu der zweifelsohne das Gesundheitswesen und die Pandemiebekämpfung zählen, als geboten an, kann sie die Benutzung des Patents anordnen. Die erforderliche Notwendigkeit einer Benutzungsanordnung fehlt aber, wenn das hierbei erreichbare auch auf andere Weise sicherzustellen ist. Es stellt sich daher die Frage, ob derzeit bezüglich der Versorgung mit Covid-19 Impfstoff ein solcher Notfall vorliegt. So kann derzeit keine Rede davon sein, dass die Firmen, die Corona-Impfstoffe entwickelt haben, nicht bereit wären, die Ihnen gewährten Patente auszuüben, Impfstoffe in möglichst großem Umfang herzustellen und diese der Weltbevölkerung und somit auch den Deutschen zur Verfügung zu stellen. Eine Benutzungsanordnung wird zumindest dann schwer zu begründen sein, wenn der Patentinhaber nicht nur selbst alle sinnvollen Anstrengungen unternimmt, um den Bedarf zu decken, sondern auch grundsätzlich zu einer regulären Lizenzvergabe bereit wäre. Ein Eingriff in das Patentrecht mit einer Benutzungsanordnung hat zudem zur Folge, dass der Patentinhaber gegenüber dem Bund einen Anspruch auf angemessene Vergütung hat. Dieser Anspruch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland besteht auch dann, wenn diese Dritte mit der Ausübung betraut. Die Tatsache, dass der Bund unmittelbar Schuldner für den durch Anordnungserlass hergestellten Impfstoff wird, dürfte in der Praxis dazu führen, dass die Bundesregierung einen solchen Schritt äußerst sorgfältig abwägen wird. Auch dürfte die Ausübung des Patents durch die Regierung selbst in der Umsetzung nicht unproblematisch sein. In Ermangelung bundeseigener Pharmaproduktionsstätten müsste die Regierung dann Dritte mit der Ausübung betrauen. Der Dritte darf die Erfindung jedoch nicht für eigene gewerbliche Zwecke nutzen, sondern muss sich auf den Umfang beschränken, der zur Förderung der öffentlichen Wohlfahrt erforderlich ist. Eine Nutzung darüber hinaus wäre Patentverletzung. Ob sich hier schnell ein Unternehmen finden wird, das zu den Bedingungen der staatlichen Benutzungsanordnung den Impfstoff produziert, ist fraglich. Zudem hat der Pateninhaber die Möglichkeit, den Rechtsweg zu beschreiten und die Anordnung vor dem Bundesverwaltungsgericht anzufechten.

§ 24 PatG (Erteilung einer Zwangslizenz)

Eine Alternative zur Benutzungsanordnung wäre der Erlass einer Zwangslizenz nach § 24 PatG. Dies setzt voraus, dass der Patentinhaber den für ihn geschützten Covid 19-Impfstoff selbst nicht in ausreichendem Umfang herstellen kann oder will. Weiterhin muss ein anderes Pharmaunternehmen Interesse daran haben, diesen in Lizenz herzustellen. Ein Zwangslizenzverfahren zur Benutzung der patentierten Erfindung kommt erst dann in Frage, wenn anderweitige Bemühungen um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolglos waren. Erst dann wird als weitere Voraussetzung das öffentliche Interesse an der Erteilung einer Zwangslizenz geprüft. Besteht ein solches öffentliches Interesse, kann bei besonderer Dringlichkeit die Erteilung einer Zwangslizenz auch per einstweiliger Verfügung erfolgen. Eine effektive Pandemiebekämpfung könnte eine solche Dringlichkeit rechtfertigen.

Der Lizenzsucher muss dann gegen den Patentinhaber auf Erteilung einer Zwangslizenz klagen. Für diese Klage ist in erster Instanz der Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts und in der Berufungsinstanz der BGH zuständig. Wird die Zwangslizenz erteilt, so hat der Lizenzsucher Gebühren in angemessener Höhe zu zahlen.

Fazit: Für eine Zwangslizenz oder eine Benutzungsanordnung existieren hohe rechtliche Hürden. Diese haben dazu geführt, dass ein solcher Eingriff in die Rechte eines Patentinhabers in der Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland nur äußerst selten vorgekommen ist. Selbst wenn man die rechtlichen Voraussetzungen bejaht, ist sehr fraglich, ob eine solche Maßnahme geeignet wäre, die Versorgung der Bevölkerung mit Covid 19-Impfstoff zu beschleunigen. Auch wenn Volkes Stimme in nachvollziehbarer Weise für jeden eine möglichst schnelle Impfung fordert, dürfen bei einem etwaigen Eingriff in das Patenrecht die Prinzipien rechtstaatlichen Handelns nicht außer Kraft gesetzt werden.